Dienstag, 3. Mai 2016
Unseren täglichen Faschismus gib uns heute
herr klimlof, 19:20h
Diese unschön klingende Überschrift gründet sich auf eine hässliche Begebenheit, die letzten Herbst stattfand.
Der Schornsteinfeger kam zu seinem zweiten Besuch im Jahr. Eigentlich ja toll, weil die Jungs ja Glück bringen sollen, aber dieser hier war offenbar irgendwie verflucht oder sonstwie beeinträchtigt. Dieser "Routinebesuch" verlief und endete völlig jenseits aller Routine.
Aus den Medien und vom Schnacken war mir bekannt geworden, dass es neuerdings Öfen mit Abgaszertifikat geben solle. Mein Pflegerin hat auch so ein Teil und erzählte mir, dass diese jetzt Vorschrift seien.
OK, der Fachmann im Haus, passt ja super, dann man raus mit der spannenden Frage nach den Details dieser Innovation. Jooa, das sei nun so und bis 2020 bestünde Altanlagenschutz. Puh, neuer Ofen plus Austausch und Anpassung der direkten Umgebung habe ich aus dem Bauch heraus auf ca 3.000€ geschätzt. Das ist eine Summe, die man nicht aus einem h4-Budget herausspart, weswegen glücklicherweise die aktuelle Gesetzgebung vorsieht, dass die grundsichernde Behörde, also das ehemalige Sozialamt so etwas zu übernehmen hätte. Wie auch sonst?
So sage ich zum vermeintlichen Glücksbringer "Wow, 2020 ist Schluss mit dem da." und deute auf die Ofenecke "Das wird bestimmt nicht billig... naja, dann muss das Amt da halt einspringen."
Bis hier war ich noch völlig arglos, immerhin kommt der Bursche seit ner Dekade hier ins Haus und war bisher eigentlich ziemlich freundlich, allerdings mit bereits erkennbar abnehmender Tendenz. Das hatte ich zwar registriert, aber auf die Folgen der Deregulierungen in seiner Branche geschoben. Wird die Luft halt auch für Glücksbringer dünner. Nicht schön, aber so geht es ja den Meisten.
Na, da höre ich den jungen Mann Folgendes sagen "Also ich arbeite ja für mein Geld... steh' jeden Morgen um 4:45 auf." Ich schaue ihn iritiert an "Ähhh, willst du die Behinderten jetzt zur Arbeit schicken? Glaubst du, das hilft?" "Jeder kann was..." und zeigt auf mein Schlepptop. Ich bin ziemlich belämmert von der Wendung des "Routinebesuchs". Hoffentlich wird das nicht zur Routine.
"Hier... ähm... weißt du eigentlich von wievielen Ärzten man sich untersuchen lassen muss, bis Frührente, Pflegestufe und Betreuung als Ergebnis vorliegen? Bist du wirklich schlauer als die ganzen Doktoren?" "Jaa... mmm... man weiß natürlich nicht, wie die Einzelheiten aussehen, aber..." Mir schwoll der Kamm, muss ich sagen. Irgendwie wollte ich dem Bürschlein klar machen, dass er echt auf üblen Pfaden wandelt. "Also das finde ich wirklich verdammt demütigend, dass dir als Erstes die Drückebergererklärung einfällt. Sowas gehört sich nicht." Da gibt er ganz pfiffig zurück, er fände es demütigend, bei mir mit nem Grinsen auflaufen zu müssen und dafür kein Geld zu bekommen. Und rauscht dann ab. Gegrinst hat er schon länger nicht mehr, wie bereits erwähnt. Das mit der Kohle regelt meine Betreuerin. Ob da zahlungstechnisch irgendwas im Argen war, wusste ich nicht. Allerdings war das mal der gewesen vor mehreren Jahren, weshalb ich das eigentlich für erledigt hielt. Nur genau wissen konnte ich es nicht. So humpelte ich hinter ihm her, hatte er doch sämtliche Türen offen gelassen wohlwissend, dass dann vielleicht mein Köter n Abflug macht, und so rief ich ihm hinterher (in Anbetracht der Situation war ich unangemessen freundlich im Ton) "Hört sich das jetzt danach an, dass ich mir einen neuen Schornsteinfeger suchen muss?" Er bleibt langsam stehen, dreht sich um, guckt mich missmutig an und sagt nickend "Ja! Das ist ne gute Idee!" und latscht weiter zum Auto.
Ob er mir einen empfehlen könne, rief ich hinter im her und bekam tatsächlich ein paar Namen genannt. Halt alle aus der Umgebung.
Da war ich wirklich geplättet, wie sich Sozialdarwinismus so unverblümt im Leben der kleinen Leute manifestiert. Da habe ich lange dran gekaut und dann nach etlichen Wochen ml meine Betreuerin angerufen, und ihr davon erzählt. Sie hat sich auch ordentlich aufgeregt, denn die Zahlungsgeschichte war absolut im grünen Bereich. Ich sollte mir ruhig nen neuen Kaminkehrer suchen und gut.
Schornsteinfeger, gibt's da wohl was von Stiftung Warentest zu? Wie informiert man sich über das Konsumgut Kaminreinigung? Was für Kriterien sind da überhaupt relevant. Nach meinem Dafürhalten ist der Sympathiefaktor sehr sehr wichtig, denn ich unterhalte mich gern mit Besuchern, wobei der Anlass des Besuchs nahezu unerheblich ist. Anzugträger mit Aktentaschen haben es bei mir recht schwer. wenn sie es aber schaffen, von mir hereingebeten zu werden, ist das dann meistens auch OK, obwohl ich da auch schon ganz ganz widerlichen Typen Einlass gewährte und es zum Debakel kam.
OK, sympathisch möge er sein mein Neuer, und was noch? Weggucken sollte er können. Also kein Regel-Fetischist bitte, denn dann könnte ich hier schnell mit ner Zwangsräumung weggejagt werden. Eines der Damokles-Schwerter über meinem Haupt, das mir manchmal richtig Sorge bereitet. Wie gut, dass ich noch andere solcher Schwerter an möglicherweise noch dünneren Fäden habe. Das hilft dabei, sich nicht in einem Thema zu verbeißen ;-)
Dann habe ich etwas rumgefragt, um Erfahrungen mit den alternativen Anbietern des Kehrens&Messens zu hören. Das ging auch gut los. Aber wer viel Fragt, bekommt viele Antworten, weiß der Volksmund zu berichten. Da hatte ich dann mehrere Optionen, die sich auf die Aussagen von Leuten gründeten, denen ich vertraue. OK, so weit so gut, aber wen nehme ich jetzt? Die Entscheidung habe ich bis jetzt vertagt und muss feststellen, dass sich Zauderei auch manchmal auszahlt.
Gestern klopft es an der Haustür, und da steht ein mir unbekannter Schornsteinfeger. Ob er fegen könne, fragt er mich. Hmm, wo der wohl herkommt? Das Auto sieht mir unbekannt aus. Der Name darauf sagt mir auch nix, aber das will nicht viel heißen. Hier sind Namen wie Hansen, Petersen, Paulsen usw in Überzahl vorhanden, und mir fehlte der Ehrgeiz die Schornsteifegernamen auswendig zu lernen.
Also musste ich ihm als nächstes das Prozedere erklären, dass ich mit dem anderen ausgehandelt hatte.
Da mein Schornstein seine Luke in der Küche hat und der Kühlschrank davorsteht, muss dieser erst einmal beiseite gerückt werden. Das heißt, dass er oben abgeräumt, einmal um seine Fläche nach vorn gezogen und schließlich mit der Drehachse hintere rechte Ecke um 90° gedreht werden muss.
Wenn der Schornsteinfegerüberfall sich ereignete, wenn ich mich gerade mal wieder in irgendwelchen dunklen Entrückungen befand, dann brauche ich ne Zeit, um das zu erledigen. Das mit dem Abräumen schaffe ich mit Sicherheit. Die Rückerei muss manchmal der Feger selbst machen. Deswegen lief das immer so, dass ein Erstbesuch zum Triggern stattfand "Ich soll fegen. Ist ne halbe Stunde OK?" und dann hab' ich losgelegt, so weit ich konnte.
Manchmal kam er auch erst nach ner Stunde oder noch später, aber das war nie ein Problem, jedenfalls für mich nicht.
Nachdem ich das erklärt hatte, meinte Neue "Jo, super, dann bin ich in ner halben Stunde wieder da." Dann hab' ich den Kram geregelt, und nach deutlich mehr als dem verabredeten Zeitraum kam er dann schließlich. Diesmal war ich richtig ein bischen zappelig, weil ich mir das gar nicht erklären konnte. Teilen die sich die Kundschaft gegenseitig zu? Ist da doch kein freier Markt?
So fragte ich ihn denn, als er mit seinem Besen am Stochern war. "Wie komme ich eigentlich zu der Ehre deines Besuchs? Beim letzten Mal ist das ja ziemlich in die Büx gegangen, weshalb ich mir nen neuen Schornsteinfeger suchen sollte. So waren wir jedenfalls verblieben." "Ähh, also ich bin der Chef und wollte mal wieder selber auf Tour." deutet dabei mit ner Kopfbewegung auf sein Werkzeug. "Was ist denn passiert?" Da erzählte ich ihm das oben Stehende und machte ebenfalls unmissverständlich klar, dass sein Geselle hier nicht mehr auf den Hof kommen müsse.
Er war ziemlich von den Socken und beruhigte mich sofort hinsichtlich der Geldfrage "Also du zahlst doch... momentan bist du sogar im Plus." "Super, Guthaben ist besser als im Rückstand zu sein." Dann erklärte er mir die Modalitäten, die er mit meiner Betreuerin ausgehandelt hatte, wusste sogar noch ihren Namen. Nen Zehner pro Monat wandert auf sein Konto, sodass ich mal im Plus und manchmal auch etwas im Minus bin je nach dem, was anfällt.
Die soziale Entgleisung seines Gesellen konnte er sich nicht erklären "Also das verstehe ich gar nicht. Der ist sonst nicht so. Das ist gar nicht seine Art..."
Er müsse wohl eine besonders schlechte Tagesform gehabt haben, lautete seine Einschätzung.
Der Schnack mit den ganzen Erklärungen verlief in äußerst freundlicher Atmosphäre, sodass ich am Ende froh war, mein Schornsteinfegerproblem so geschmeidig gelöst zu wissen. Wir waren so einvernehmlich, als er dann wieder vom Hof düste, dass ich kurz danach Zweifel bekam hinsichtlich der von mir verhängten Verbannung gegen den Gesellen. Wäre es nicht dauerzickig, wenn ich darauf bestünde weiterhin? Vielleicht rufe ich den Meister noch mal an, um das richtig zu klären. Aber einfach abzuwarten, was ohne Intervention passiert, hat auch seinen Reiz. Allerdings wäre es mir unangenehm, wenn der Meister auf meinen Bann eingeht und deswegen organisatorisch nen Aufriss machen müsste. So wichtig finde ich die Diva in mir denn auch nicht :-)
Irgendwie wird sich das schon zurechtlaufen. Das sehe ich gelassen. Weniger gelassen sehe ich, dass der Geselle (egal ob aus Prinzip oder schlechter Form heraus) diese negative Art des Gönnens überhaupt betreibt. Er ist son iron-man, also wahnsinnshart gegen sich selbst. Man schließt ja üblicherweise von sich auf Andere, was bei den hardlinern offenbar dazu führt, ihre Selbstquälerei als gesundes Konzept für Andere einzuschätzen und wie hier geschehen, irgendwie zu missionieren.
Das geht mir so auf den Zappen, dass das Phänomen Zumutbarkeit gesamtgesellschaftlich so völlig vergeigt wird. zu viele Leute laufen herum und erwarten, dass die von ihnen "bewältigten Härten" jetzt als Fitness-Programm Verbreitung finden sollen. So ein Bockmist. Ein Klassiker in dieser Abteilung wird gerne im Zusammenhang mit dem Schlagen von Kindern vorgebracht "Ne Ohrfeige? Na und? Hab ich früher auch gekriegt und es hat mir nicht geschadet."
Die mediale Bearbeitung dieses generationenalten Problems führt leider leider zurück in die Vergangenheit. Die Renaissance der Schwarzen Pädagogik ist ne wirklich üble Geschichte. Wurde ich damals Mitte der 70er mit vierzehn Jahren bereits gesiezt in der Schule, wird heutzutage wieder geduzt bis zum Abi. Das kann doch nicht sinnvoll sein.
Wie soll da gelernt werden, sich anständig zu benehmen? Also durch ein gegenseitig respektvolles Miteinander ein setting zu schaffen, in dem die Würde zu gedeihen in der Lage ist.
Statt dessen werden aus organisatorisch bedingten Über/Unterstellungssituationen wieder von Autorität und Repression geprägte Verhältnisse. Dabei ist das noch nicht einmal umfassend überwunden gewesen, obwohl doch der Lehrling Azubi genannt werden musste. In den 80ern traf ich einen Schlosserlehrling bei mir im Dorf. Ich war frisch dorthin gezogen und kannte den Burschen, der da im Regen vor der Bank wartete noch nicht. Da ich auch Geld abheben wollte (der Kartenkram war noch weit entfernt, und Amexo nur für große Einkommen) winkte ich dem Jungen zu, er solle sich zu mir ins Auto setzen. Es war keineswegs selbstverständlich, dass er mein Angebot annahm. In einigen anderen Dörfern hätte ich das nicht einmal riskiert, weil es möglicherweise die Scheibenwischer oder die Antenne gekostet hätte. Es gibt hier einige sehr sehr fremdenfeindliche Orte "Du kommst nicht aus meinem Dorf! Verpiss dich!"
Der junge Mann erzählte mir dann, dass er Landmaschinenschlosser sei, und beim Thema Disco standen wir geschmacklich in völlig verschiedenen Lagern. Ich war Stammgast in der abgefahrensten Hippie-Disco ever, wo Langhaarige mit Tüchern zum Wedeln beim verrückten Tanz und Joints und so weiter das Hauptpublikum bildeten. Auch wurden da Sachen wie Mike Oldfield - Tubular Bells komplett durchgespielt oder Pink Floyd oder oder. Bei einigen Leuten hießen Trichtergänger (Die Disse hieß "Zum Trichter") "Rothaarige", was auch bitte mit besonders abfälligem Tonfall auszusprechen ist. Wohl wegen der Verbreitung des Haarfärbemittels Henna, oder aber weil wir vermeintlich alle Kommunisten waren. Das weiß keiner so genau :-)
Meine Wartegesellschaft ging allerdings in einen Laden namens Tannenhof. Den kannte ich zwar, weil die Tanzstunde manchmal dorthin verlegt wurde, aber als Disco war es für Hippies ne nogo-zone. Bauerndisco nannte man sowas. Die gab es in fast jedem Dorf, aber der Tannenhof war insofern speziell, weil er als Prügeldisco bekannt war. Wieso er denn ausgerechnet dahin ginge, wollte ich wissen.
"Der Alte schlägt dir auf die Fresse. Der Meister schlägt dir auf die Fresse. Und im Tannenhof da kann man mal so richtig Dampf ablassen." Dann erzählte er noch, dass extra aus Flensburg Leute zu diesem Zweck kämen und dass das Alles ne ziemliche Gaudi sei.
Als gewissensgeprüfter Pazifist hatte ich ne klare Einstellung zum Prügeln "Angst hab' ich nicht und laufen kann ich schnell." Aber mir gibt auch kein Alter oder ein Meister was auf's Maul. Den großen Unterschied begriff ich da. Das Gespräch und einige Vorfälle in meiner Dorfdisco und anderswo haben meine Einstellung zum Prügeln verändert. Es scheint sich auch als Kommunikationsform zu eignen. Wichtig ist allerdings, dass zwei sich treffen, die diese Sprache gerne sprechen wollen. Dann soll'n sie man. Übel wird's, wenn nur einer der Beteiligten die Ausdrucksform des Faustkampfes für angemessen hält.
Ätzenderweise hat sich der Zeitgeist darauf eingeschossen, gewalttätiges Verhalten zwar abzulehnen, aber gleichzeitig werden Strukturen erzeugt, die es geradezu heraufbeschwören, sodass wir uns wohl doch wieder als auch vom Faustrecht bestimmt einschätzen müssen.
Sollten wir die im Amerikanischen so beliebte Knastindustrie einführen wollen, dann ist die gewaltgenerierende Konfiguration, die wir haben, ne echte Wirtschaftsstimulation.
Und wir haben schon wahnsinnig viel Schwachsinniges bis Bösartiges eingeführt, weswegen ich mir begründete Sorgen mache.
Irgendwo in Deutschland (Hessen?) werden Privatknäste bereits gebaut, wenn sie nicht schon in Betrieb sind... zu Versuchszwecken... muss ja Alles evaluiert werden. Oder aber solchermaßen mit Profitgarantie behaftete Projekte können durchgewunken werden. Keine Ahnung, wer sowas entscheidet. Wir Souveräne jedenfalls nicht.
Der Schornsteinfeger kam zu seinem zweiten Besuch im Jahr. Eigentlich ja toll, weil die Jungs ja Glück bringen sollen, aber dieser hier war offenbar irgendwie verflucht oder sonstwie beeinträchtigt. Dieser "Routinebesuch" verlief und endete völlig jenseits aller Routine.
Aus den Medien und vom Schnacken war mir bekannt geworden, dass es neuerdings Öfen mit Abgaszertifikat geben solle. Mein Pflegerin hat auch so ein Teil und erzählte mir, dass diese jetzt Vorschrift seien.
OK, der Fachmann im Haus, passt ja super, dann man raus mit der spannenden Frage nach den Details dieser Innovation. Jooa, das sei nun so und bis 2020 bestünde Altanlagenschutz. Puh, neuer Ofen plus Austausch und Anpassung der direkten Umgebung habe ich aus dem Bauch heraus auf ca 3.000€ geschätzt. Das ist eine Summe, die man nicht aus einem h4-Budget herausspart, weswegen glücklicherweise die aktuelle Gesetzgebung vorsieht, dass die grundsichernde Behörde, also das ehemalige Sozialamt so etwas zu übernehmen hätte. Wie auch sonst?
So sage ich zum vermeintlichen Glücksbringer "Wow, 2020 ist Schluss mit dem da." und deute auf die Ofenecke "Das wird bestimmt nicht billig... naja, dann muss das Amt da halt einspringen."
Bis hier war ich noch völlig arglos, immerhin kommt der Bursche seit ner Dekade hier ins Haus und war bisher eigentlich ziemlich freundlich, allerdings mit bereits erkennbar abnehmender Tendenz. Das hatte ich zwar registriert, aber auf die Folgen der Deregulierungen in seiner Branche geschoben. Wird die Luft halt auch für Glücksbringer dünner. Nicht schön, aber so geht es ja den Meisten.
Na, da höre ich den jungen Mann Folgendes sagen "Also ich arbeite ja für mein Geld... steh' jeden Morgen um 4:45 auf." Ich schaue ihn iritiert an "Ähhh, willst du die Behinderten jetzt zur Arbeit schicken? Glaubst du, das hilft?" "Jeder kann was..." und zeigt auf mein Schlepptop. Ich bin ziemlich belämmert von der Wendung des "Routinebesuchs". Hoffentlich wird das nicht zur Routine.
"Hier... ähm... weißt du eigentlich von wievielen Ärzten man sich untersuchen lassen muss, bis Frührente, Pflegestufe und Betreuung als Ergebnis vorliegen? Bist du wirklich schlauer als die ganzen Doktoren?" "Jaa... mmm... man weiß natürlich nicht, wie die Einzelheiten aussehen, aber..." Mir schwoll der Kamm, muss ich sagen. Irgendwie wollte ich dem Bürschlein klar machen, dass er echt auf üblen Pfaden wandelt. "Also das finde ich wirklich verdammt demütigend, dass dir als Erstes die Drückebergererklärung einfällt. Sowas gehört sich nicht." Da gibt er ganz pfiffig zurück, er fände es demütigend, bei mir mit nem Grinsen auflaufen zu müssen und dafür kein Geld zu bekommen. Und rauscht dann ab. Gegrinst hat er schon länger nicht mehr, wie bereits erwähnt. Das mit der Kohle regelt meine Betreuerin. Ob da zahlungstechnisch irgendwas im Argen war, wusste ich nicht. Allerdings war das mal der gewesen vor mehreren Jahren, weshalb ich das eigentlich für erledigt hielt. Nur genau wissen konnte ich es nicht. So humpelte ich hinter ihm her, hatte er doch sämtliche Türen offen gelassen wohlwissend, dass dann vielleicht mein Köter n Abflug macht, und so rief ich ihm hinterher (in Anbetracht der Situation war ich unangemessen freundlich im Ton) "Hört sich das jetzt danach an, dass ich mir einen neuen Schornsteinfeger suchen muss?" Er bleibt langsam stehen, dreht sich um, guckt mich missmutig an und sagt nickend "Ja! Das ist ne gute Idee!" und latscht weiter zum Auto.
Ob er mir einen empfehlen könne, rief ich hinter im her und bekam tatsächlich ein paar Namen genannt. Halt alle aus der Umgebung.
Da war ich wirklich geplättet, wie sich Sozialdarwinismus so unverblümt im Leben der kleinen Leute manifestiert. Da habe ich lange dran gekaut und dann nach etlichen Wochen ml meine Betreuerin angerufen, und ihr davon erzählt. Sie hat sich auch ordentlich aufgeregt, denn die Zahlungsgeschichte war absolut im grünen Bereich. Ich sollte mir ruhig nen neuen Kaminkehrer suchen und gut.
Schornsteinfeger, gibt's da wohl was von Stiftung Warentest zu? Wie informiert man sich über das Konsumgut Kaminreinigung? Was für Kriterien sind da überhaupt relevant. Nach meinem Dafürhalten ist der Sympathiefaktor sehr sehr wichtig, denn ich unterhalte mich gern mit Besuchern, wobei der Anlass des Besuchs nahezu unerheblich ist. Anzugträger mit Aktentaschen haben es bei mir recht schwer. wenn sie es aber schaffen, von mir hereingebeten zu werden, ist das dann meistens auch OK, obwohl ich da auch schon ganz ganz widerlichen Typen Einlass gewährte und es zum Debakel kam.
OK, sympathisch möge er sein mein Neuer, und was noch? Weggucken sollte er können. Also kein Regel-Fetischist bitte, denn dann könnte ich hier schnell mit ner Zwangsräumung weggejagt werden. Eines der Damokles-Schwerter über meinem Haupt, das mir manchmal richtig Sorge bereitet. Wie gut, dass ich noch andere solcher Schwerter an möglicherweise noch dünneren Fäden habe. Das hilft dabei, sich nicht in einem Thema zu verbeißen ;-)
Dann habe ich etwas rumgefragt, um Erfahrungen mit den alternativen Anbietern des Kehrens&Messens zu hören. Das ging auch gut los. Aber wer viel Fragt, bekommt viele Antworten, weiß der Volksmund zu berichten. Da hatte ich dann mehrere Optionen, die sich auf die Aussagen von Leuten gründeten, denen ich vertraue. OK, so weit so gut, aber wen nehme ich jetzt? Die Entscheidung habe ich bis jetzt vertagt und muss feststellen, dass sich Zauderei auch manchmal auszahlt.
Gestern klopft es an der Haustür, und da steht ein mir unbekannter Schornsteinfeger. Ob er fegen könne, fragt er mich. Hmm, wo der wohl herkommt? Das Auto sieht mir unbekannt aus. Der Name darauf sagt mir auch nix, aber das will nicht viel heißen. Hier sind Namen wie Hansen, Petersen, Paulsen usw in Überzahl vorhanden, und mir fehlte der Ehrgeiz die Schornsteifegernamen auswendig zu lernen.
Also musste ich ihm als nächstes das Prozedere erklären, dass ich mit dem anderen ausgehandelt hatte.
Da mein Schornstein seine Luke in der Küche hat und der Kühlschrank davorsteht, muss dieser erst einmal beiseite gerückt werden. Das heißt, dass er oben abgeräumt, einmal um seine Fläche nach vorn gezogen und schließlich mit der Drehachse hintere rechte Ecke um 90° gedreht werden muss.
Wenn der Schornsteinfegerüberfall sich ereignete, wenn ich mich gerade mal wieder in irgendwelchen dunklen Entrückungen befand, dann brauche ich ne Zeit, um das zu erledigen. Das mit dem Abräumen schaffe ich mit Sicherheit. Die Rückerei muss manchmal der Feger selbst machen. Deswegen lief das immer so, dass ein Erstbesuch zum Triggern stattfand "Ich soll fegen. Ist ne halbe Stunde OK?" und dann hab' ich losgelegt, so weit ich konnte.
Manchmal kam er auch erst nach ner Stunde oder noch später, aber das war nie ein Problem, jedenfalls für mich nicht.
Nachdem ich das erklärt hatte, meinte Neue "Jo, super, dann bin ich in ner halben Stunde wieder da." Dann hab' ich den Kram geregelt, und nach deutlich mehr als dem verabredeten Zeitraum kam er dann schließlich. Diesmal war ich richtig ein bischen zappelig, weil ich mir das gar nicht erklären konnte. Teilen die sich die Kundschaft gegenseitig zu? Ist da doch kein freier Markt?
So fragte ich ihn denn, als er mit seinem Besen am Stochern war. "Wie komme ich eigentlich zu der Ehre deines Besuchs? Beim letzten Mal ist das ja ziemlich in die Büx gegangen, weshalb ich mir nen neuen Schornsteinfeger suchen sollte. So waren wir jedenfalls verblieben." "Ähh, also ich bin der Chef und wollte mal wieder selber auf Tour." deutet dabei mit ner Kopfbewegung auf sein Werkzeug. "Was ist denn passiert?" Da erzählte ich ihm das oben Stehende und machte ebenfalls unmissverständlich klar, dass sein Geselle hier nicht mehr auf den Hof kommen müsse.
Er war ziemlich von den Socken und beruhigte mich sofort hinsichtlich der Geldfrage "Also du zahlst doch... momentan bist du sogar im Plus." "Super, Guthaben ist besser als im Rückstand zu sein." Dann erklärte er mir die Modalitäten, die er mit meiner Betreuerin ausgehandelt hatte, wusste sogar noch ihren Namen. Nen Zehner pro Monat wandert auf sein Konto, sodass ich mal im Plus und manchmal auch etwas im Minus bin je nach dem, was anfällt.
Die soziale Entgleisung seines Gesellen konnte er sich nicht erklären "Also das verstehe ich gar nicht. Der ist sonst nicht so. Das ist gar nicht seine Art..."
Er müsse wohl eine besonders schlechte Tagesform gehabt haben, lautete seine Einschätzung.
Der Schnack mit den ganzen Erklärungen verlief in äußerst freundlicher Atmosphäre, sodass ich am Ende froh war, mein Schornsteinfegerproblem so geschmeidig gelöst zu wissen. Wir waren so einvernehmlich, als er dann wieder vom Hof düste, dass ich kurz danach Zweifel bekam hinsichtlich der von mir verhängten Verbannung gegen den Gesellen. Wäre es nicht dauerzickig, wenn ich darauf bestünde weiterhin? Vielleicht rufe ich den Meister noch mal an, um das richtig zu klären. Aber einfach abzuwarten, was ohne Intervention passiert, hat auch seinen Reiz. Allerdings wäre es mir unangenehm, wenn der Meister auf meinen Bann eingeht und deswegen organisatorisch nen Aufriss machen müsste. So wichtig finde ich die Diva in mir denn auch nicht :-)
Irgendwie wird sich das schon zurechtlaufen. Das sehe ich gelassen. Weniger gelassen sehe ich, dass der Geselle (egal ob aus Prinzip oder schlechter Form heraus) diese negative Art des Gönnens überhaupt betreibt. Er ist son iron-man, also wahnsinnshart gegen sich selbst. Man schließt ja üblicherweise von sich auf Andere, was bei den hardlinern offenbar dazu führt, ihre Selbstquälerei als gesundes Konzept für Andere einzuschätzen und wie hier geschehen, irgendwie zu missionieren.
Das geht mir so auf den Zappen, dass das Phänomen Zumutbarkeit gesamtgesellschaftlich so völlig vergeigt wird. zu viele Leute laufen herum und erwarten, dass die von ihnen "bewältigten Härten" jetzt als Fitness-Programm Verbreitung finden sollen. So ein Bockmist. Ein Klassiker in dieser Abteilung wird gerne im Zusammenhang mit dem Schlagen von Kindern vorgebracht "Ne Ohrfeige? Na und? Hab ich früher auch gekriegt und es hat mir nicht geschadet."
Die mediale Bearbeitung dieses generationenalten Problems führt leider leider zurück in die Vergangenheit. Die Renaissance der Schwarzen Pädagogik ist ne wirklich üble Geschichte. Wurde ich damals Mitte der 70er mit vierzehn Jahren bereits gesiezt in der Schule, wird heutzutage wieder geduzt bis zum Abi. Das kann doch nicht sinnvoll sein.
Wie soll da gelernt werden, sich anständig zu benehmen? Also durch ein gegenseitig respektvolles Miteinander ein setting zu schaffen, in dem die Würde zu gedeihen in der Lage ist.
Statt dessen werden aus organisatorisch bedingten Über/Unterstellungssituationen wieder von Autorität und Repression geprägte Verhältnisse. Dabei ist das noch nicht einmal umfassend überwunden gewesen, obwohl doch der Lehrling Azubi genannt werden musste. In den 80ern traf ich einen Schlosserlehrling bei mir im Dorf. Ich war frisch dorthin gezogen und kannte den Burschen, der da im Regen vor der Bank wartete noch nicht. Da ich auch Geld abheben wollte (der Kartenkram war noch weit entfernt, und Amexo nur für große Einkommen) winkte ich dem Jungen zu, er solle sich zu mir ins Auto setzen. Es war keineswegs selbstverständlich, dass er mein Angebot annahm. In einigen anderen Dörfern hätte ich das nicht einmal riskiert, weil es möglicherweise die Scheibenwischer oder die Antenne gekostet hätte. Es gibt hier einige sehr sehr fremdenfeindliche Orte "Du kommst nicht aus meinem Dorf! Verpiss dich!"
Der junge Mann erzählte mir dann, dass er Landmaschinenschlosser sei, und beim Thema Disco standen wir geschmacklich in völlig verschiedenen Lagern. Ich war Stammgast in der abgefahrensten Hippie-Disco ever, wo Langhaarige mit Tüchern zum Wedeln beim verrückten Tanz und Joints und so weiter das Hauptpublikum bildeten. Auch wurden da Sachen wie Mike Oldfield - Tubular Bells komplett durchgespielt oder Pink Floyd oder oder. Bei einigen Leuten hießen Trichtergänger (Die Disse hieß "Zum Trichter") "Rothaarige", was auch bitte mit besonders abfälligem Tonfall auszusprechen ist. Wohl wegen der Verbreitung des Haarfärbemittels Henna, oder aber weil wir vermeintlich alle Kommunisten waren. Das weiß keiner so genau :-)
Meine Wartegesellschaft ging allerdings in einen Laden namens Tannenhof. Den kannte ich zwar, weil die Tanzstunde manchmal dorthin verlegt wurde, aber als Disco war es für Hippies ne nogo-zone. Bauerndisco nannte man sowas. Die gab es in fast jedem Dorf, aber der Tannenhof war insofern speziell, weil er als Prügeldisco bekannt war. Wieso er denn ausgerechnet dahin ginge, wollte ich wissen.
"Der Alte schlägt dir auf die Fresse. Der Meister schlägt dir auf die Fresse. Und im Tannenhof da kann man mal so richtig Dampf ablassen." Dann erzählte er noch, dass extra aus Flensburg Leute zu diesem Zweck kämen und dass das Alles ne ziemliche Gaudi sei.
Als gewissensgeprüfter Pazifist hatte ich ne klare Einstellung zum Prügeln "Angst hab' ich nicht und laufen kann ich schnell." Aber mir gibt auch kein Alter oder ein Meister was auf's Maul. Den großen Unterschied begriff ich da. Das Gespräch und einige Vorfälle in meiner Dorfdisco und anderswo haben meine Einstellung zum Prügeln verändert. Es scheint sich auch als Kommunikationsform zu eignen. Wichtig ist allerdings, dass zwei sich treffen, die diese Sprache gerne sprechen wollen. Dann soll'n sie man. Übel wird's, wenn nur einer der Beteiligten die Ausdrucksform des Faustkampfes für angemessen hält.
Ätzenderweise hat sich der Zeitgeist darauf eingeschossen, gewalttätiges Verhalten zwar abzulehnen, aber gleichzeitig werden Strukturen erzeugt, die es geradezu heraufbeschwören, sodass wir uns wohl doch wieder als auch vom Faustrecht bestimmt einschätzen müssen.
Sollten wir die im Amerikanischen so beliebte Knastindustrie einführen wollen, dann ist die gewaltgenerierende Konfiguration, die wir haben, ne echte Wirtschaftsstimulation.
Und wir haben schon wahnsinnig viel Schwachsinniges bis Bösartiges eingeführt, weswegen ich mir begründete Sorgen mache.
Irgendwo in Deutschland (Hessen?) werden Privatknäste bereits gebaut, wenn sie nicht schon in Betrieb sind... zu Versuchszwecken... muss ja Alles evaluiert werden. Oder aber solchermaßen mit Profitgarantie behaftete Projekte können durchgewunken werden. Keine Ahnung, wer sowas entscheidet. Wir Souveräne jedenfalls nicht.
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