Donnerstag, 26. Mai 2016
Was wären wir bloß ohne Telephongeräte?
herr klimlof, 12:24h
Gestern (oder vorgestern? bin grad etwas desorientiert in der Zeit... aber dass wir 2013 haben weiß ich immer ;-)) bekam ich einen Anruf von einem Freund, mit dem es sich das Jahr vorher reichlich verlaufen hatte gerade in Anbetracht des Umstands, dass wir die Jahre vorher sogar zwei mal wöchentlich eine gemeinsame Tour zu Penny & Co durchzogen.
Er konnte nicht mehr laufen wegen irgend ner Knochenschwundnummer, und Autofahren war auch nicht mehr drin, weswegen ich ihn dann immer einsammelte und zu den Zielen seiner Wahl brachte.
Irgendwann hatte ich kein Auto mehr, was er dann durch die Beschaffung eines Fahrzeugs bereinigen konnte. Er hatte geerbt und war jetzt kein h4-homie mehr sondern ein "reicher" Freund. Um klarzumachen, dass diese Autonummer ein gemeinsames Ding ist, auch wenn er als Hauptinvestor drin hing, habe ich die Versicherung getragen und den Sprit, zu dem er vorher immer seinen Obolus beigetragen hatte.
Meine Güte, wie das nur nach hinten losging. Er begann, mich regelrecht zu gängeln und Beschwerden darüber auf's Unflätigste zurück zu weisen inklusive bashings aller Art. Irgendwann hatte er mich sogar mal an der Jacke.
Das war auch oberbizarr. Weil ich ein Hinkepunk bin, gelang es dem fast Lahmen von seinem Sitz aus, mich am Schlaffitchen zu packen. Huiuiui, das war knapp, denn er ist trotz seines Verfalls im Gegensatz zu mir noch bärenstark gewesen.
Da habe ich dann ernsthaft überlegt, ob ich ihm die Karre nicht auf den Hof stellen soll, um mich nach Alternativen umzusehen. Allerdings wäre das ein echt heftiger Schritt gewesen bezogen auf meine Mobilität und die Reste meiner Sozialkontakte.
Den Einkaufskram wollte meine Pflegerin wohl mit übernehmen, wenn alle Stricke rissen, aber ohne Auto vor der Tür fühlt es sich deutlich anders an hier in der Einsamkeit als mit fahrbarem Untersatz.
Auch wenn ich es nie machte, was die bestehende Möglichkeit, einfach losfahren zu können angeht, so ist dies immer ein sehr wichtiger Fundamentstein meines Freiheitsgefühls gewesen und als einer der wenigen Rudimente früherer gefühlter Freiheiten, immer noch unverzichtbar wichtig für mich.
Ich will zwar nicht losfahren, könnte es aber, sollte es mir wichtig&richtig erscheinen.
Wir überlegten dann, inwieweit eine käufliche Übernahme des Autos in Frage käme, aber da bekamen wir uns fürchterlich über die Wertfeststellung in die Haare. Bei seiner Rechnung war es unbezahlbar für mich. Als ich jedoch eine radikale Gegenkalkulation hinlegte, die, hätte man sie zu ende gerechnet, dazu geführt hätte, dass ich zum Auto noch etwas Spritgeld hätte bekommen müssen von ihm, da scheiterten dann sämtliche Verhandlungen.
Eine Argumentation ganz schmissig mit "Sieh das doch mal so..." zu beginnen, birgt das Risiko, dass genau das "so Sehen" verweigert wird, und dann ist Alles für die Katz'. :-)
Doch bevor ich mich durchringen konnte, das ungebremste Dauergenörgel meines Freundes komplett abzustellen inklusive Freundschaft, die das vermutlich nicht überlebt hätte mit "Hier hast du deine Scheißkarre. Fahr doch selber! (Das wäre übrigens echt fiese&gemein, da er das keinesfalls mehr kann)" rief er mich an und hatte als Lösung für unser Problem einen Geniestreich im Gepäck. Er schenkte mir die Gurke.
Ab da ging's dann wieder mit der Stimmung. Wir brauchten auch nicht mehr zweieinhalb Stunden sondern es ging wieder ne Stunde schneller.
Er bekam dann vom Schicksal eine Assistentin, wie er sie nennt, an die Seite. Eine Dame unseres Alters, die bei ihm jetzt putzt, Einkäufe mit ihm macht und insgesamt sein Leben funktionieren lässt. Das passte gut zu meinem Supertief, währenddessen ich ihn nicht oder nur äußerst beschränkt hätte chauffieren können.
In dem vergangenen Jahr ist er so klöterig geworden, dass ohne Rollstuhl nix mehr geht aushäusig. Ne Pflegestufe wurde ihm verwehrt, weil er zu selbstironisch mit dem Ritual verfuhr, als der MDK bei ihm war. Die haben seine ironisch gemeinten Selbsteinschätzungen, die offensichtlich zynisch überhöht waren, beinhart für bare Münze genommen. Tja, wer doofe Witze macht, soll doch sehen, wo und wie er bleibt.
Ich war glücklicherweise zu weggetreten, als das Ritual bei mir abgehalten wurde. Dazu noch war ich strikt gebrieft, dass ich um Himmelswillen nicht aus meiner Weggetretenheit erwachen möge. Ich solle dem Pflegedienst die Kommunikation überlassen.
Das gab mir die Gelegenheit, die Situation mal aus der Beobachterperspektive wahrzunehmen. Schon seltsam, wenn man sich als Gesprächsgegenstand mit allerlei Attributierungen vorfindet, und was die Leute da ausbaldowern, wird über mein Leben entscheiden. Ich fand das ziemlich krass irgendwie.
Die Existenz dieses Rituals, das sich ausschließlich auf die Unterstellung gründet, ich könnte ja ein Täuscher sein, ist eine echte Schande für diese Gesellschaft. So sollten wir keinesfalls miteinander umgehen und schon gar nicht legalisiert und institutionalisiert. Wo in dem setting Grundwerte sein sollen, ist mir als Zeuge absolut schleierhaft.
Den Gesprächen und Vibrations am Tisch konnte ich entnehmen, dass bei mir zu keinem Zeitpunkt von irgend einer Seite auch nur der Hauch des Zweifels an der Richtigkeit meiner Einstufung als pflegebedürftig spürbar war. Das hat den widerwärtigen Akt an sich tatsächlich ziemlich entspannt. Doch wenn es läuft wie meinem Freund, der seine übliche Weggetretenheit mal überwunden hat, um sich mit der Kaspermaske der von vornherein nicht gewogen wirkenden MDK-Inquisitorin zur einseitigen Beschau zu stellen, dann sind sämtliche Grundwerte ab zum Hindukusch oder sonstwohin. Vor Ort sind sie jedenfalls nicht mehr.
Jetzt ist mein Freund mit seiner Assistntin leider in die h4-Falle getappt. Natürlich macht sie die Assistenz schwarz. Anders könnte mein Freund sich das nicht leisten. Richtig reich ist er nicht, höchsten gegen Leute wie mich könnte das gelten.
Nun ist sie in einer Maßnahme gelandet und steht nicht mehr für ihn zur Verfügung. Doch die h4-Maßnahme wird nicht umsonst das KZ3.0 genannt, denn da wird jeder verrückt. Wenn man krank wird währenddessen, muss man nachsitzen.
Es ist dramatisch.
Die arme Assistentin kommt aus Kanada und kennt sowas gar nicht. Bis vor knapp zwei Jahren hat sie gearbeitet. Neuer Job muss her, mit Ende Fünfzig ist das bekanntermaßen nicht so einfach bis unmöglich.
Jetzt ist sie am Durchdrehen und hat sich mit ihm überworfen, obwohl eigentlich beide existenziell von einander abhängen auf die eine oder andere Art.
Als er mir das am Telephon aufdröselte, fing er auch wieder mächtig an zu heulen. Das ist nie ein gutes Zeichen. Er hatte auch schon Phasen, in denen er seine gefühlte Wertlosigkeit mit nem Suizid krönen wollte. Die ersten Male war ich immer völlig von den Socken und ratlos, weshalb ich dann einen Freund anrief, der ihn länger kannte und auch seine Tiefs. Ich würde mich dran gewöhnen müssen, aber seine suizidalen Ergüsse seien eher eine Art Ritual, mit denen er sich aus den Tiefs rausheulen würde... jedenfalls so ähnlich.
Die Gewöhnungsphase war nicht schön, und sein letztes Tief wirklich lange her. Scheiße, das gibt ne neue Gewöhnungsphase, schätze ich.
Mir geht dabei viel mehr auf den Zappen, dass die Hilflosen systemisch allein gelassen werden. Als würde davon das Leben anderer Menschen besser. So ein Blödsinn!
Aber wie bekommt man die Menschen dazu, großflächig gelassener und liebevoller miteinander umzugehen?
Erich Kästner sagt ja ganz richtig:"Es gibt nichts Gutes, außer man tut es."
Ein Ansatz ist das allemale. Wahrscheinlich reicht das sogar schon :-)
Aus der Reihe "Lange Telephonate" gab's dann noch einen talk mit meinem Ältesten, der wieder mal irre Geschichten aus der Stadt erzählte.
Erstmal fragte ich nach den Smombie-Partys, die er mir so erklärte.
"Das erste SM-Fon wird etwa bei der zweiten Tüte gezückt, und dann einer nach dem anderen." Aber eine geteilte, gemeinsame Aufmerksamkeit gab es sowie nicht in der Runde, weil immer einer am Labtop und einer an ner playse rumdaddelt.
Und wenn mein Sohn dann als letzter ohne Technik in der Kralle verlautbaren lässt, dass er jetzt gehen müsse, dann geht's "Wieso? Jetzt schon?" "Bleib doch noch, ist doch grad so gemütlich." und das kommt so herzlich, dass er Mühe hat sich da höflich vom Acker zu machen.
Dann erzählte er mir von einem "neuen Sport", dem sogenannten "sign spinning", bei dem ein Werbeschild akrobatisch präsentiert wird. Ganz neu aus Amerika. Durch die Werbung, die irgendwie untrennbar mit diesem "Sport" verbunden scheint, wird das ganze ja zu einem Spektakulum des postmodernen Kapitalismus, also aus meine bescheiden-asketischen Peacenik-Sicht voll oberböse :-)
Aber mein Söhnchen hat Spaß dran, und Sport ist ja auch gesund, und er machte keinen Sport, also ist das gut, dass er jetzt für die ErsteOrdnung Plakate schwingt. Hauptsache Schwitzen! ;-)
Wir haben ziemlich gelacht, als wir das aufgedröselt hatten, dass ich ja zum "Doppelten Blick" greifen muss, um mich auch angemessen mit ihm zu freuen.
Der Kram ist so kapitalistisch, dass es sogar die Verheißung gibt, ab einer bestimmten Qualität der Performance mitgenommen zu werden into the strictly commercially oriented wild, um da dann auch Pratze zu verdienen. Mit Stundenlöhnen, die die im Pflegebereich übersteigen, könnte sich das Ganze dann noch zu einer Konkurrenzsituation der Lebenswege aufschaukeln (natural selection?). Durch den Beginn einer Lehre hat er sich ja für drei Jahre gebunden. Sollte er jetzt mit diesem "Sport" an einem Wochenende so viel oder gar mehr verdienen als in einer Arbeitswoche, dann sind wahrscheinlich einige Abwägungen zu vollziehen.
Ich schnitt das ganz nebenbei als potentielle Entwicklungsmöglichkeit an, was bei meinem Sohn (gespieltes) Erstaunen hervorrief. Aber im nächsten Satz hatte er bereits ein eher selten verwendetes Wort wie "Langfristplan" im Mund, sodass mir klar wurde, dass er durchaus schon so weit gedacht hatte. Von wegen Überraschung :-)
Jetzt ist ja überwiegend Regenwetter, sodass die Pflanzen geradezu explodieren im Wachstum. Da muss ich wohl oder übel mal gegenangehen. Mein neuer Kleispaten ist frisch gefeilt und ziemlich ziemlich ziemlich scharf. Das Massaker möge beginnen! Alles nur wegen der "natural selection"
So macht das der MDK doch auch oder? ;-)
Er konnte nicht mehr laufen wegen irgend ner Knochenschwundnummer, und Autofahren war auch nicht mehr drin, weswegen ich ihn dann immer einsammelte und zu den Zielen seiner Wahl brachte.
Irgendwann hatte ich kein Auto mehr, was er dann durch die Beschaffung eines Fahrzeugs bereinigen konnte. Er hatte geerbt und war jetzt kein h4-homie mehr sondern ein "reicher" Freund. Um klarzumachen, dass diese Autonummer ein gemeinsames Ding ist, auch wenn er als Hauptinvestor drin hing, habe ich die Versicherung getragen und den Sprit, zu dem er vorher immer seinen Obolus beigetragen hatte.
Meine Güte, wie das nur nach hinten losging. Er begann, mich regelrecht zu gängeln und Beschwerden darüber auf's Unflätigste zurück zu weisen inklusive bashings aller Art. Irgendwann hatte er mich sogar mal an der Jacke.
Das war auch oberbizarr. Weil ich ein Hinkepunk bin, gelang es dem fast Lahmen von seinem Sitz aus, mich am Schlaffitchen zu packen. Huiuiui, das war knapp, denn er ist trotz seines Verfalls im Gegensatz zu mir noch bärenstark gewesen.
Da habe ich dann ernsthaft überlegt, ob ich ihm die Karre nicht auf den Hof stellen soll, um mich nach Alternativen umzusehen. Allerdings wäre das ein echt heftiger Schritt gewesen bezogen auf meine Mobilität und die Reste meiner Sozialkontakte.
Den Einkaufskram wollte meine Pflegerin wohl mit übernehmen, wenn alle Stricke rissen, aber ohne Auto vor der Tür fühlt es sich deutlich anders an hier in der Einsamkeit als mit fahrbarem Untersatz.
Auch wenn ich es nie machte, was die bestehende Möglichkeit, einfach losfahren zu können angeht, so ist dies immer ein sehr wichtiger Fundamentstein meines Freiheitsgefühls gewesen und als einer der wenigen Rudimente früherer gefühlter Freiheiten, immer noch unverzichtbar wichtig für mich.
Ich will zwar nicht losfahren, könnte es aber, sollte es mir wichtig&richtig erscheinen.
Wir überlegten dann, inwieweit eine käufliche Übernahme des Autos in Frage käme, aber da bekamen wir uns fürchterlich über die Wertfeststellung in die Haare. Bei seiner Rechnung war es unbezahlbar für mich. Als ich jedoch eine radikale Gegenkalkulation hinlegte, die, hätte man sie zu ende gerechnet, dazu geführt hätte, dass ich zum Auto noch etwas Spritgeld hätte bekommen müssen von ihm, da scheiterten dann sämtliche Verhandlungen.
Eine Argumentation ganz schmissig mit "Sieh das doch mal so..." zu beginnen, birgt das Risiko, dass genau das "so Sehen" verweigert wird, und dann ist Alles für die Katz'. :-)
Doch bevor ich mich durchringen konnte, das ungebremste Dauergenörgel meines Freundes komplett abzustellen inklusive Freundschaft, die das vermutlich nicht überlebt hätte mit "Hier hast du deine Scheißkarre. Fahr doch selber! (Das wäre übrigens echt fiese&gemein, da er das keinesfalls mehr kann)" rief er mich an und hatte als Lösung für unser Problem einen Geniestreich im Gepäck. Er schenkte mir die Gurke.
Ab da ging's dann wieder mit der Stimmung. Wir brauchten auch nicht mehr zweieinhalb Stunden sondern es ging wieder ne Stunde schneller.
Er bekam dann vom Schicksal eine Assistentin, wie er sie nennt, an die Seite. Eine Dame unseres Alters, die bei ihm jetzt putzt, Einkäufe mit ihm macht und insgesamt sein Leben funktionieren lässt. Das passte gut zu meinem Supertief, währenddessen ich ihn nicht oder nur äußerst beschränkt hätte chauffieren können.
In dem vergangenen Jahr ist er so klöterig geworden, dass ohne Rollstuhl nix mehr geht aushäusig. Ne Pflegestufe wurde ihm verwehrt, weil er zu selbstironisch mit dem Ritual verfuhr, als der MDK bei ihm war. Die haben seine ironisch gemeinten Selbsteinschätzungen, die offensichtlich zynisch überhöht waren, beinhart für bare Münze genommen. Tja, wer doofe Witze macht, soll doch sehen, wo und wie er bleibt.
Ich war glücklicherweise zu weggetreten, als das Ritual bei mir abgehalten wurde. Dazu noch war ich strikt gebrieft, dass ich um Himmelswillen nicht aus meiner Weggetretenheit erwachen möge. Ich solle dem Pflegedienst die Kommunikation überlassen.
Das gab mir die Gelegenheit, die Situation mal aus der Beobachterperspektive wahrzunehmen. Schon seltsam, wenn man sich als Gesprächsgegenstand mit allerlei Attributierungen vorfindet, und was die Leute da ausbaldowern, wird über mein Leben entscheiden. Ich fand das ziemlich krass irgendwie.
Die Existenz dieses Rituals, das sich ausschließlich auf die Unterstellung gründet, ich könnte ja ein Täuscher sein, ist eine echte Schande für diese Gesellschaft. So sollten wir keinesfalls miteinander umgehen und schon gar nicht legalisiert und institutionalisiert. Wo in dem setting Grundwerte sein sollen, ist mir als Zeuge absolut schleierhaft.
Den Gesprächen und Vibrations am Tisch konnte ich entnehmen, dass bei mir zu keinem Zeitpunkt von irgend einer Seite auch nur der Hauch des Zweifels an der Richtigkeit meiner Einstufung als pflegebedürftig spürbar war. Das hat den widerwärtigen Akt an sich tatsächlich ziemlich entspannt. Doch wenn es läuft wie meinem Freund, der seine übliche Weggetretenheit mal überwunden hat, um sich mit der Kaspermaske der von vornherein nicht gewogen wirkenden MDK-Inquisitorin zur einseitigen Beschau zu stellen, dann sind sämtliche Grundwerte ab zum Hindukusch oder sonstwohin. Vor Ort sind sie jedenfalls nicht mehr.
Jetzt ist mein Freund mit seiner Assistntin leider in die h4-Falle getappt. Natürlich macht sie die Assistenz schwarz. Anders könnte mein Freund sich das nicht leisten. Richtig reich ist er nicht, höchsten gegen Leute wie mich könnte das gelten.
Nun ist sie in einer Maßnahme gelandet und steht nicht mehr für ihn zur Verfügung. Doch die h4-Maßnahme wird nicht umsonst das KZ3.0 genannt, denn da wird jeder verrückt. Wenn man krank wird währenddessen, muss man nachsitzen.
Es ist dramatisch.
Die arme Assistentin kommt aus Kanada und kennt sowas gar nicht. Bis vor knapp zwei Jahren hat sie gearbeitet. Neuer Job muss her, mit Ende Fünfzig ist das bekanntermaßen nicht so einfach bis unmöglich.
Jetzt ist sie am Durchdrehen und hat sich mit ihm überworfen, obwohl eigentlich beide existenziell von einander abhängen auf die eine oder andere Art.
Als er mir das am Telephon aufdröselte, fing er auch wieder mächtig an zu heulen. Das ist nie ein gutes Zeichen. Er hatte auch schon Phasen, in denen er seine gefühlte Wertlosigkeit mit nem Suizid krönen wollte. Die ersten Male war ich immer völlig von den Socken und ratlos, weshalb ich dann einen Freund anrief, der ihn länger kannte und auch seine Tiefs. Ich würde mich dran gewöhnen müssen, aber seine suizidalen Ergüsse seien eher eine Art Ritual, mit denen er sich aus den Tiefs rausheulen würde... jedenfalls so ähnlich.
Die Gewöhnungsphase war nicht schön, und sein letztes Tief wirklich lange her. Scheiße, das gibt ne neue Gewöhnungsphase, schätze ich.
Mir geht dabei viel mehr auf den Zappen, dass die Hilflosen systemisch allein gelassen werden. Als würde davon das Leben anderer Menschen besser. So ein Blödsinn!
Aber wie bekommt man die Menschen dazu, großflächig gelassener und liebevoller miteinander umzugehen?
Erich Kästner sagt ja ganz richtig:"Es gibt nichts Gutes, außer man tut es."
Ein Ansatz ist das allemale. Wahrscheinlich reicht das sogar schon :-)
Aus der Reihe "Lange Telephonate" gab's dann noch einen talk mit meinem Ältesten, der wieder mal irre Geschichten aus der Stadt erzählte.
Erstmal fragte ich nach den Smombie-Partys, die er mir so erklärte.
"Das erste SM-Fon wird etwa bei der zweiten Tüte gezückt, und dann einer nach dem anderen." Aber eine geteilte, gemeinsame Aufmerksamkeit gab es sowie nicht in der Runde, weil immer einer am Labtop und einer an ner playse rumdaddelt.
Und wenn mein Sohn dann als letzter ohne Technik in der Kralle verlautbaren lässt, dass er jetzt gehen müsse, dann geht's "Wieso? Jetzt schon?" "Bleib doch noch, ist doch grad so gemütlich." und das kommt so herzlich, dass er Mühe hat sich da höflich vom Acker zu machen.
Dann erzählte er mir von einem "neuen Sport", dem sogenannten "sign spinning", bei dem ein Werbeschild akrobatisch präsentiert wird. Ganz neu aus Amerika. Durch die Werbung, die irgendwie untrennbar mit diesem "Sport" verbunden scheint, wird das ganze ja zu einem Spektakulum des postmodernen Kapitalismus, also aus meine bescheiden-asketischen Peacenik-Sicht voll oberböse :-)
Aber mein Söhnchen hat Spaß dran, und Sport ist ja auch gesund, und er machte keinen Sport, also ist das gut, dass er jetzt für die ErsteOrdnung Plakate schwingt. Hauptsache Schwitzen! ;-)
Wir haben ziemlich gelacht, als wir das aufgedröselt hatten, dass ich ja zum "Doppelten Blick" greifen muss, um mich auch angemessen mit ihm zu freuen.
Der Kram ist so kapitalistisch, dass es sogar die Verheißung gibt, ab einer bestimmten Qualität der Performance mitgenommen zu werden into the strictly commercially oriented wild, um da dann auch Pratze zu verdienen. Mit Stundenlöhnen, die die im Pflegebereich übersteigen, könnte sich das Ganze dann noch zu einer Konkurrenzsituation der Lebenswege aufschaukeln (natural selection?). Durch den Beginn einer Lehre hat er sich ja für drei Jahre gebunden. Sollte er jetzt mit diesem "Sport" an einem Wochenende so viel oder gar mehr verdienen als in einer Arbeitswoche, dann sind wahrscheinlich einige Abwägungen zu vollziehen.
Ich schnitt das ganz nebenbei als potentielle Entwicklungsmöglichkeit an, was bei meinem Sohn (gespieltes) Erstaunen hervorrief. Aber im nächsten Satz hatte er bereits ein eher selten verwendetes Wort wie "Langfristplan" im Mund, sodass mir klar wurde, dass er durchaus schon so weit gedacht hatte. Von wegen Überraschung :-)
Jetzt ist ja überwiegend Regenwetter, sodass die Pflanzen geradezu explodieren im Wachstum. Da muss ich wohl oder übel mal gegenangehen. Mein neuer Kleispaten ist frisch gefeilt und ziemlich ziemlich ziemlich scharf. Das Massaker möge beginnen! Alles nur wegen der "natural selection"
So macht das der MDK doch auch oder? ;-)
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