Montag, 30. Mai 2016
Schon wieder Ostwind. Muss wohl so sein.
Der blöde Ostwind verhagelt mir den Spaß am Draußen. Keinen Bock raus und das, obwohl es echt schön aussieht mit der Sonne.
Aber Ostwind ist doof. Zu trocken und dann bläst er dahin, wo ich gerne Windschatten hätte und sowieso, kontinentaler Mist halt.
Und ist er nicht warm&trocken der blöde Ostwind sondern kalt, dann gilt Folgendes:
Wenn stief weiht de Ostenwind
ward krus de Büdel und lütt de Pint
und da kann man sich auch nicht gegen anziehen.
Ich hab es sogar mit Zeitungen versucht, aber das drückt nur übel auf die Eier und hilft auch nicht richtig.
Dafür sind Zeitungen als Fußlappenersatz recht wirksam. Damit bleibt auch der gummibestiefelte Fuß halbwegs warm. Ebenfalls als unter der Jacke getragenes Brustschild gegen Ostwind sind sie ganz gut einsetzbar.

Stubenhocken macht mir immer noch ein schlechtes Gewissen, so dermaßen wurden wir damals darauf konditioniert, ständig draußen zu spielen. Auch esse ich meistens meine Teller leer und sorge dafür, dass möglichst nur auf den Tisch kommt, was mir tatsächlich schmeckt, denn wenn es erstmal auf dem Tisch ist, muss es ja schließlich gegessen werden. Und spielen tut man damit selbstverständlich auch nicht, Punktum! :-)

Schnell mal ne Fluppe auf dem Hof geraucht, um mich davon zu überzeugen, dass ich mit meiner vorurteilsgeborenen Jaulerei auch richtig liege. Jo, ist ätzend draußen. Die Sonne sticht. Das ist nie gut. Und die Eschen schmeißen kleine Samen. Das machten die Ahörner auch schon vor einer Woche.
Und mein agrarischer Freund erzählte von Rissen im Boden, in die eine Kinderfaust passen würde.

Als Kind, so entsinne ich mich, gab es mal ein Frühjahr mit sechs Wochen von diesem Wetter. Damals waren ja noch viel mehr Menschen direkt von der Landwirtschaft betroffen. In den 60ern waren noch über 50% aller Arbeitsstellen mit der Landwirtschaft verbandelt. In einem Flächenland wie SH dürfte der Anteil noch wesentlich größer gewesen sein.
Deswegen war diese Trockenzeit in aller Munde und wurde in allen Küchen&Stuben mit großer Sorge thematisiert. Nach meiner Erinnerung ist sie durch ihre Folgen bis zur Erntezeit immer wieder ein Thema respektive eine Erklärung gewesen.

Heutzutage bekommt man davon höchstens irgendwelchen medialen Output als Normalbürger, und der ist dann zumeist irgendwie verzerrend, also eher desinformierend als informativ. Schade eigentlich, denn so werden Solidarisierungsbestrebungen erschwert. Wo sollte man wie andocken, um ernsthaften agrarischen Reformbemühungen unter die Arme zu greifen? Die zuständige NGO-"Behörde", die hoffentlich auch NPO auf ihren Fahnen stehen hat? Hmm... postmoderne Zeiten halt...

Was früher, als nicht Alles besser sondern Manches nur weniger schlecht war dafür allerdings auch Vieles eklatant schlechter, also früher halt, als es anders war, da hatte die menschliche Komponente/Eigenschaft der Empfindungsfähigkeit, also Gefühle haben zu können und zu müssen, um sie letztendlich auch zu leben, eine deutlich andere Einbindung in das Leben, was zu völlig anderen Ergebnissen im zwischenmenschlichen Bereich führte.

Eine direkte Gegenüberstellung von damals&heute findet man im Umfeld des Todes von Kim Jong Il, dem großen nordkoreanischen Führer.
Als der starb wurde in der Tagesschau die entsprechende Ansage aus dem koreanischen TV gezeigt, bei der die Nachrichtensprecherin einen Weinanfall bekam und die Meldung nicht hervorbrachte (oder so ähnlich, kann kein koreanisch). Die Milse, die die Tagesschau verlas schaffte es hingegen, ihr Lachen über die Nordkoreaner jedenfalls so gut zu unterdrücken, dass sie immerhin den gesamten Text fehlerfrei runterlas. Es wurden dann noch auf der Straße sitzende Koreaner, die weinend ihr Leid teilten, gezeigt und aus dem off irgendwie verhöhnt. Jedenfalls fand ich die Kommentierung ebenso entwürdigend wie die Lachmaus an der Ansage.

Dass mir deswegen der Kamm schwillt, auch jetzt nach einigen Jahren, hat sicherlich damit zu tun, dass hier in Deutschland auch so geweint wurde. Und jeder, der darüber hässliche Witze gemacht hätte, wäre in den Abyss der Unmenschen verbannt worden.
Als Kennedy damals umgepustet wurde, brach auch für mich die Welt zusammen, obwohl ich erst ein kleiner Windelpuper war. Mein übliches Umfeld bestand aus ner Oma-Army. Ein Reihenhaus mit fast nur alten Leuten. Die drei real existierenden Teenies waren für mich auch Große.
Und alle diese Omas heulten wie die Nordkoreaner im TV. Was war nur passiert? Normalerweise haben die immer gestrahlt, wenn ich um die Ecke kam. Ich war das Kind des Königs, ein Geschenk des Himmels, und freute mich halt immer, wenn sie sich über mich freuten.
Doch da mussten dann meine Tanten gerufen werden, damit dann die am wenigsten verheulte Person sich mit mir beschäftigen konnte. Sone Art spontan fluktuierender Schichtdienst.
"Ein böser Mann hat einen sehr sehr guten Mann tot gemacht." Aha, das das so schrecklich sein konnte, verunsicherte mich ziemlich. Meine Mutter war ja auch tot, und das wurde ja auch nicht so beweint. Dass die Geschichten mit dem Weinen um meine Mutter bereits abgeschlossen waren, konnte ich zu der Zeit unmöglich überblicken.
Die Heulerei der alten Damen hatte zudem sehr häufig mich als Anlass... und der eigentlich berühmte Unterschied zwischen Anlass&Ursache ist für Windelpuper auch noch nicht existent.
Die guckten mich an und fingen spontan an zu flennen. Das muss einen doch gruseln, oder nicht?
Jetzt weiß ich halt, dass die damals darüber zusammenbrachen bei meinem Anblick, weil sie es zu schrecklich fanden, in welch eine Welt so Kleinis wie ich hineinwachsen sollten.
Die waren allesamt von den Kriegen der Vergangenheit genügend durchgebeutelt und lebten jetzt in Frieden und zunehmendem Wohlstand. Die hatten keinen Bock auf Attentate, und dann noch so ein Hoffnungsträger wie der Kennedy als Opfer.
Das war schon krass.

Doch nicht nur der Tod amerikanischer Hoffnungsträger-Präsis wurde mit Tränen betrauert. Irgendwann Mitte Ende 60er verstarb der Sohn des damaligen Landtagspräsidenten von Hassel. Der Sohnemann von Hassel war einer der über hundert Todespiloten, die wir Franz Joseph Strauß' starfighter-deal zu verdanken haben.
Da wurde aus Mitleid mit den armen Eltern auch auf der Straße geweint, weil es anders offensichtlich nicht zu bewältigen war.

Zu der Zeit kam die Milch in der Stadt vom Milchmann, der mit seinem passenderweise Milchwagen genannten Verkaufsgefährt zu relativ festen Zeiten durch die Straßen fuhr, mit einer Glocke auf sich aufmerksam machte und dann ca alle hundert Meter (eher viel weniger) anhielt, um den dort aus den Häusern strömenden Hausfrauen Milch, Butter, Sahne und vielleicht Käse zu verkaufen. Die Damen hatten alle ihre üblichen Gefäße dabei.
Sowohl beim Tode Kenedys als auch beim Tode des von Hasselmann-Sprösslings wurden die Treffen am Milchwagen zu echten Flennfestivals. Mir war das beim zweiten Mal, da war ich wohl knapp ABC-Schütze oder sogar schon schulisch dabei (und das fand in den Ferien statt), äußerst unangenehm mit der Heulerei. Mir war nicht danach und ich hätte ja auch nicht gedurft. War schließlich Mädchensache. Da musste man sich besser raushalten.

Aber wie auch immer, sowohl meine ethisch-moralische Erziehung als auch meine diesbezüglich in Selbstbestimmung erlangte Gesinnung sehen eine öffentliche Verballhornung von Menschen, die von tiefen Gefühlen geschüttelt werden, als absolutes NoGo und Raketenschlitten weg von den Grundwerten an. Da hilft weder Freiheit der Meinung noch Freiheit der Kunst oder der Berichterstattung oder was für ein Konzept auch immer hervorgeholt werden möge. Sowas ist einfach arschig, egal mit
welchem Grund es angeblich geschieht.

Wer interessiert ist am mindset der schwarzweißen 60er, dem empfehle ich die TV-Serie "Kommissar Freytag". Ein Zwanzigminüter, der Mitte der 60er gelaufen ist. Klar vor meiner Zeit als TV-Konsument, aber als ich mal ein paar Folgen davon in der Jetztzeit sah, war ich doch erstaunt über die transportierte Authentizität. Das gilt lange nicht für alle Produktionen aus der Zeit, die mir so untergekommen sind.
Im Gegenteil, gerade als "historische Reportagen" verkaufte zeitgenössische Sendungen, die auf alte Materialien aus den Archiven zugreifen, kommen mir häufig wie Klitterung vor, zu groß ist der Abstand zu meinen erinnerten Wahrnehmungen.

Jetzt, was das Gefühle haben und dafür angeprangert zu werden betrifft, müsste doch die Frage nicht nur erlaubt sein, sondern sich geradezu aufdrängen, ob denn diese erkennbare gesamtgesellschaftliche Verrohung ein angemessener Preis ist für die Lebensqualität3.0?
Lohnt sich das ganze Gehampel überhaupt?

Wenn ich mal was weiß, dann dass, dass ich das nicht weiß. Tendenziell oder aus dem Bauch heraus 8also ohne Wissen) habe ich schwere Zweifel.

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